Fachtag Schulabsentismus

Weil jeder Schultag zählt...

Schulabsentismus. Das ist der wissenschaftliche Begriff dafür, wenn Schülerinnen und Schüler dem Unterricht fern bleiben. Und damit sind keine Fehlstunden wegen Erkältungs- und Grippeviren gemeint. Sondern: Wenn Kinder und Jugendliche den Schulbesuch verweigern oder sogar die Schule abbrechen.

Um dieses Themenfeld fachlich rundum zu beleuchten, hatte die Abteilung “Bildung und Integration” des Kreises Höxter an die Gesamtschule in Brakel zu einem Fachtag eingeladen. Zu Gast waren verschiedene Mitglieder der Schulgemeinschaft: Schulleitungen, Mitarbeitende der multiprofessionellen und sozialpädagogischen Teams an Schulen und in Behörden, Mitarbeitende des Schulamtes und der regionalen Schulberatung, und viele mehr. Sie alle sind im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit den Auswirkungen von Schulabsentismus direkt oder indirekt befasst.

Herr Dominic Gehle begrüßte die Anwesenden des Fachtages sehr herzlich. Als Abteilungsleiter der Abteilung “Bildung und Integration” hatte er im Namen des Kreises Höxter die Veranstaltung initiiert und organisiert.

Prof. Dr. Heinrich Ricking von der Uni Leipzig

Herr Prof. Dr. Heinrich Ricking, der von der Uni Leipzig als Sprecher für den Fachtag gewonnen werden konnte, erläuterte zum Einstieg: Übersichtliche Zahlen zu dauerhaft fehlenden Schülerinnen und Schülern würden in Deutschland nicht flächendeckend erhoben. Jedes Schulministerium arbeite für sich. So komme es, dass man für eine Bestandsaufnahme zuerst viele Puzzleteile zusammensetzen müsse, um einen Gesamteindruck über die Fehlzeiten von Schülerinnen und Schüler in der Bundesrepublik zu erhalten. Und über die Gründe dafür. Diese Ausgangslage mache es sehr schwer, auch für die Politik, das Problem überhaupt zu erkennen, wenn es denn eines geworden sei. Gemeinsam mit seinem Team hat Herr Prof. Dr. Ricking zu möglichen Gründen für Schulverweigerung geforscht und dabei auch Maßnahmen identifiziert, mit deinen Schulverweigerung frühzeitig entgegengewirkt werden kann. Quelle

Frau Sandra Florsch sprach als Schulleiterin und Gastgeberin am Veranstaltungsort ein Grußwort. Sie machte deutlich: “Jeder einzelne junge Mensch, mit seinen Bedürfnissen und Hemmnissen, welcher nicht zur Schule kommt, welcher nicht an der Gemeinschaft teilnimmt, ist ein Mensch, der uns als Gesellschaft verloren geht. Ist ein Mensch, der verloren ist, der sich verloren fühlt. Helfen Sie uns, dass diese Menschen nicht mehr nur Namen auf Zetteln oder in Klassenbüchern sind, sondern, dass sie ein Gesicht bekommen, in das wir blicken können. Eine körperliche Gestalt, der wir helfen und mit der wir arbeiten können”.

Herr Prof. Dr. Heinrich Ricking gab Erklärungsansätze, warum Schülerinnen und Schüler dem Unterricht fern blieben. Denn dazu gibt es zahlreiche Daten aus Umfragen und Studien. Mit einem Augenzwinkern beleuchtete er, dass zu jeder Zeit das Phänomen des “strategischen Schulschwänzens” zu beobachten sei. Also dass Schülerinnen und Schüler genau überlegten, wie sehr das “auslassen” von ausgewählten, weniger geliebten Unterrichtsstunden, ihre weitere Schullaufbahn negativ beeinflussen könnte. Zugleich wandte er sich in die Runde des Fachpublikums und forderte dazu auf, sich an die eigene Schullaufbahn zu erinnern. Ob diese Überlegungen den Anwesenden aus eigener Erfahrungen vertraut seien? Doch: Diese Art von Schulabsentismus sei nicht das Problem, löste er dann das Thema auf.

Sandra Florsch, Schulleiterin der Gesamtschule Brakel

Etwa 5% der Schülerinnen und Schüler, so schätzt man, bleiben dem Unterricht aus weit triftigeren Gründen fern. Und das ist die Gruppe, um die man sich kümmern müsse. Während sich die statistische Zahl klein anhört, stehen dahinter – in absoluten Zahlen – tausende Einzelfälle und Schicksale. Bundesweit.

An der Uni Leipzig wirkte Herr Prof. Dr. Ricking u.a. in einem Forschungsprojekt mit, in dem die Dimensionen von Schulabsentismus in verschiedenen Ländern (Schweden, Deutschland, England und Japan) verglichen wurden. In Teilstudien wurde u.a. geschaut, welche Unterstützungssysteme zur Bewältigung und Prävention von Schulversäumnissen auf lokaler Ebene zum Einsatz kamen. Quelle

Im weiteren Verlauf des Tages stellte Prof. Ricking dem anwesenden Publikum einige seiner Erkenntnisse aus den jüngsten Forschungsprojekten vor. Denn es gibt zahlreiche Ansätze, um dem schulischen Scheitern schon sehr frühzeitig entgegen zu wirken. So könnte ein negativer Kreislauf, der häufig mit Fehlzeiten seinen Anfang nimmt, durchbrochen werden.

Nach den sehr spannenden Impulsen von Herrn Prof. Dr. Ricking übernahmen Frau Rabea Lausen von der Schulberatungsstelle des Kreises Höxter und Frau Maria Komm vom Schulamt für den Kreis Höxter das Wort. Sie stellen den “Leitfaden Schulabsentismus” im Kreis Höxter vor.

Herr Carsten Schultz von der Schulberatungsstelle des Kreises Höxter und Frau Bettina Becker, Schulleitung der Schule am Nicolaitor, Höxter, stellten den Clearing-Prozess im Kreis Höxter vor. Gemeint ist die Vorgehensweise, wenn zur Lösung von Schulabsentismus Behörden und Mitarbeitende der Sozialarbeit eingeschaltet werden, um mit Elternhäusern, Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern an einem Strang zu ziehen.

Den Abschluss fand der Fachtag in einer kurzweiligen Podiumsdiskussion zum Titelthema, sowie dem sich anschließenden Austausch auf dem “Markt der Möglichkeiten” im Foyer vor der Aula. Am Ende gingen die Teilnehmenden hoffnungsvoll auseinander: Besser vernetzt, gut informiert, mit neuen Impulsen und vielleicht neuen Lösungsmöglichkeiten im Gepäck. So kann Betroffenen künftig noch besser und wirksam geholfen werden. Das ist schließlich das Wichtigste, denn, wie Prof. Dr. Ricking betonte: “Jeder Schultag zählt”.

Foto v.l.: Prof. Heinrich Ricking, Maria Komm (Schulaufsicht, Schulamt für den Kreis Höxter), Sandra Florsch, Dominic Gehle, Bettina Becker (Schulleiterin, Schule am Nicolaitor, Höxter) Eva Klare-Kurtenbach (Geschäftsführerin, Kolping Schulwerk), Carsten Schulz und Rabea Lausen (Regionale Schulberatungsstelle)